Magensonde  bei  Huntington

Grundinformation, medizinische, rechtliche und ethische Aspekte als Hilfe zur Entscheidungsfindung Pro und Contra


1. Einleitung

 

Nimmt ein Huntington-Patient trotz ausgewogener Kost oder Trinknahrung an Kraft, Energie und Gewicht ab, da die natürliche Nahrungsaufnahme über den Mund nicht mehr möglich oder nur mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, muss über eine andere Form der Nahrungszufuhr entschieden werden. Alternative Ernährung kann mittels einer Magensonde geschehen. Dieses Infoblatt bietet Grundinformation zum Themenbereich, stellt Vorteile und Risiken einer Magensonde gegenüber, erläutert medizinische, rechtliche und ethische Aspekte und kann so insgesamt zur Entscheidungsfindung beitragen. Das Thema Schluckstörungen wird in einem eigenständigen Infoblatt behandelt.

 

2. Magensonde

 

Sondenarten

Wenn für Huntington-Patienten infolge ausgeprägter Schluckstörungen eine geregelte enterale Nahrungszufuhr (enteral = über den Verdauungstrakt) nicht mehr gewährleistet werden kann, ist das Legen einer Ernährungssonde oft unumgänglich. Hierbei handelt es sich um einen dünnen Schlauch, der entweder transnasal (durch Nase, Rachen und Speiseröhre) oder perkutan (durch die Haut der Bauchdecke) in den Magen (alternativ in den Dünndarm) gelegt wird. Über Nahrungspumpen oder eine Spritze können Nahrung, Flüssigkeit und Medikamente direkt in den Magen verabreicht werden. Damit kann eine physiologische (normale) Ernährung sichergestellt werden.

 

Wird eine Sonde wegen kurzfristiger Gesundheitsstörung (beispielsweise durch Unfall) oder auch zur Diagnostik voraussichtlich weniger als vier Wochen benötigt, wird eine naso-gastrische Sonde in den Magen eingeführt. Dies geschieht unaufwendig und ohne Narkose durch den Arzt oder geschultes Pflegepersonal und kann beliebig wiederholt werden.

 

Wird die Sonde voraussichtlich längerfristig zur künstlichen Ernährung benötigt, weil der Betroffene nicht mehr selbstständig schlucken kann oder will (zum Beispiel bei Erkrankungen des Mundes, des Rachens und der Speiseröhre, bei Krebserkrankungen, bei Bewusstseinsstörungen oder bei fortgeschrittenen neurologischen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer), kommt eine so genannte PEG-Sonde (perkutane endoskopische Gastrostomie) zum Einsatz. Dies bedarf einer kleineren Operation. Diese Sondenform wird auch bei der Huntington-Krankheit verwendet.

 

PEG-Sonde

Die PEG-Sonde wird mittels Kanülen und Endoskop (Magenspiegelung) über Mund und Speiseröhre in den Magen eingeführt und durch eine künstliche Öffnung in Bauchdecke und Magenwand (kleiner Schnitt eine Handbreit über dem Nabel) nach außen gezogen. Im Magen und auf der Bauchdecke wird sie durch eine Halteplatte fixiert, damit sie nicht verrutscht. Sie erhält so einen festen Sitz. Das Anlegeverfahren ist technisch einfach und sicher und findet in Kurznarkose statt. Mit einer PEG-Sonde geschieht die Ernährung direkt über den Magen-Darm-Trakt, das heißt, dass Flüssigkeit beziehungsweise flüssige oder dünnbreiige Nahrung (spezielle Sondennahrung) wie eine Infusion direkt in den Magen geleitet wird. Dies kann langsam über eine Ernährungspumpe, per Schwerkraft von einem Infusionsständer oder mittels Spritze vorgenommen werden. In den beiden erstgenannten Fällen dauert eine Mahlzeit mehrere Stunden, im letztgenannten mehrere Minuten. Über die Sonde können auch Medikamente gegeben werden, sofern diese zuvor in Wasser aufgelöst wurden.

 

Vorteile

Für Menschen, die einen Unfall hatten oder für Patienten, die aus anderen Gründen nicht mehr schlucken können, bietet die PEG-Sonde eine Reihe von Vorteilen. Im Vergleich zu einer transnasalen Magensonde ist die PEG-Sonde meist angenehmer zu ertragen, denn sie löst kein Fremdkörpergefühl im Nasen-Rachenraum aus und befindet sich nicht im Gesichtsbereich, sondern ist von der Kleidung bedeckt. Darüber hinaus können mit einer transnasalen Sonde über die Nase Bakterien in den Körper gelangen und Infektionen und Lungenentzündungen auslösen, welche die Überlebensrate senken. Eine PEG-Sonde dagegen arbeitet keimfrei und nahezu komplikationslos.

 

Nach Aufnahme der kalorien- und ballaststoffreichen Sondenkost werden Verdauung und Gewicht in der Regel reguliert und der Zustand des Betroffenen kann sich stabilisieren. Damit werden Folgen von Mangelernährung verhindert, die Lebensqualität wird erhalten oder wiederhergestellt und die Überlebenszeit wird verlängert. Angehörige und Pflegepersonal benötigen weniger Zeit mit dem Verabreichen der Nahrung, denn das Füttern eines Kranken braucht Zeit und Zuwendung – zwei Ressourcen, die insbesondere in Pflegeheimen chronisch knapp sind, wo gerade Essen und Trinken einen Großteil der Pflegearbeit ausmachen. Außerdem besteht kein Esszwang. Die Sonde bedeutet nämlich nicht, dass der Betroffene nichts mehr essen darf. Wenn Schluckstörungen dem nicht entgegenstehen, kann jederzeit zusätzliche Nahrungsaufnahme über den Mund geschehen. Sie nimmt aber den Druck weg, nur auf letztgenanntem Wege sich ausreichend zu ernähren. Über den Mund braucht nur aufgenommen zu werden, was möglich ist. Auf die Gabe von Lieblingsspeisen und -getränken muss also nicht verzichtet werden, und selbst bei stark ausgeprägten Schluckstörungen können zumindest Lippen oder Zunge mit den Lieblingsaromen bestrichen werden.

 

Nachteile

Dies klingt alles einfach und problemlos. Dennoch ist ihr Einsatz nicht frei von Risiken. Zwar verursacht eine PEG-Sonde – statistisch gesehen – selten schwere Komplikationen, aber sie kann nicht so einfach eingesetzt werden, wie eine nasale Sonde. Zum einen können beim Anlegen Bauchorgane verletzt werden, und die Durchtrittsstelle der Sonde ist eine Wunde, die sich unter Umständen infizieren kann. Ferner kann bei Undichtigkeiten durch Mageninhalt, der in die Bauchhöhle läuft, Bauchfellentzündung entstehen. Wenn außerdem bei der Nahrungszufuhr nicht auf eine aufrechte Sitzposition des Betroffenen geachtet wird, kann es bei versehentlicher Zuführung einer zu großen Menge zum Rückfluss in Speiseröhre und Rachen und zum Erbrechen kommen. Bei einem hilflosen Patienten birgt dies die Gefahr des Einatmens von Nahrungsteilen oder von Erbrochenem mit der Folge einer lebensgefährlichen Lungenentzündung. Darüber hinaus ist bei Verwendung des Schwerkraftsystems mittels Infusionsständer oder bei Benutzung einer Ernährungspumpe zu den Zeiten der Sondenkostverabreichung die Mobilität eingeschränkt. Schließlich beschert die Magensonde selbst ein Fremdkörpergefühl, das für die Betroffenen unangenehm sein kann, und sie wird kosmetisch als unattraktiv empfunden, da sie nach außen sichtbar und oft hinderlich ist.

 

Ein weiterer – menschlicher – Aspekt darf nicht unterschätzt werden. Das Füttern eines Patienten mit Schluckstörungen kann bis zu einer Dreiviertelstunde dauern. Da mag die Versuchung groß sein, auf künstliche Ernährung umzuschalten. Dann besteht bei ausschließlicher Ernährung über eine Sonde die Gefahr, dass Mundpflege sowie Kau- und Schlucktraining vernachlässigt werden. Und ist die Magensonde einmal gelegt, findet sich oft kaum noch jemand zum Füttern, selbst wenn der Patient selbst noch ein wenig schlucken könnte. Wenn dann immer seltener jemand kommt, der sich neben das Bett des Betroffenen setzt, ihm gut zuredet oder gar mitisst, gehen Kommunikation und Zuwendung verloren. Dann hat die medizinische Technik den Menschen ersetzt – oft bis ans Lebensende.

 

Medizinische Aspekte

Eine PEG-Sonde ist schnell angelegt. Kaum 15 Minuten dauert die Operation. Einmal installiert, erlaubt sie das Leben mittels eines Schlauchs über viele Jahre. Dennoch ist künstliche Ernährung keine Pflege, sondern eine medizinische Therapie. Sie bedarf dementsprechend einer medizinischen Indikation. Ansonsten ist die Sonde im täglichen Leben zwar einfach zu handhaben, bedarf allerdings sorgfältiger Überwachung. Zur Vorbeugung von Infektionen sind Pflege und Desinfektion der Austrittsstelle wichtig. Ist die Wunde reizlos, wird der Verband ein bis zwei Mal wöchentlich gewechselt. Den Verbandswechsel können auch Angehörige übernehmen, wenn sie es sich vom Pflegepersonal haben zeigen lassen. Wenn die Wunde reizlos ist, gibt es für Sondenpatienten keine Einschränkungen bei der Körperpflege. Duschen, Baden und sogar Schwimmen sind möglich (Letzteres gilt jedoch kaum für Huntington-Patienten, denn wenn Schlucken physisch nicht mehr möglich ist, ist es das Schwimmen sicherlich auch nicht mehr). Für Hilfestellung, die vor allem am Anfang notwendig ist, steht außerhalb des Krankenhauses ein ambulanter Versorgungsdienst bereit und Firmen, die Sondennahrung herstellen, haben qualifiziertes Personal für die Patientenbetreuung. Und sollte die Sondenernährung auf Wunsch des Patienten beendet werden, ist dies jederzeit möglich. Dennoch kann es sinnvoll sein, die Sonde nicht zu entfernen, weil auf diesem Weg in schonender Weise Medikamente verabreicht werden können.

 

Zur Entfernung sowie zur grundsätzlichen Ablehnung einer Sonde sollte man wissen, dass nach Einstellen der Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr es meist 10 bis 20 Tage dauert, bis der Patient stirbt. Mit guter schmerzmedizinischer Versorgung leidet er nicht darunter. Im Gegenteil: beim natürlichen Prozess des Sterbens spüren Todkranke keinen Hunger mehr und keinen Durst. Der Körper verstoffwechselt kaum noch – er arbeitet gewissermaßen auf Sparflamme. Durch die fehlende Flüssigkeitsversorgung arbeiten Leber oder Nieren nicht mehr richtig, die Bauchspeicheldrüse funktioniert nicht mehr gut und das Herz pumpt nur noch schwach. Langsam versagen die Organe und eins nach dem anderen gibt seine Funktion auf. Der Körper reagiert darauf mit einer Ausschüttung von Glückshormonen (z.B. Dopamin), der Sterbende verliert sein Bewusstsein, verspürt sein Ende nicht und schläft ohne Angst und Leiden friedlich ein.

 

Rechtliche Aspekte

Das Legen einer Magensonde ist ein medizinischer Eingriff mit entsprechenden Risiken. Will sich der Arzt nicht einer Körperverletzung schuldig machen, benötigt er dazu die Einwilligung des Kranken. Daher muss der Patient oder sein Vertreter (Betreuer) nach entsprechender Aufklärung eine Einverständniserklärung unterschreiben. Außerdem kann die Sonde rechtlich gesehen in bestimmten Fällen eine lebensverlängernde Maßnahme darstellen. Wenn der Patient diese ablehnt, darf eine Ernährungssonde nicht gelegt werden.

 

Will ein Patient für die Zukunft das Legen einer Magensonde ausschließen, muss er in einer Patientenverfügung anordnen, dass die Anlage einer solchen Sonde zu unterbleiben hat beziehungsweise die Nutzung einer bereits vorhandenen Sonde unter bestimmten Bedingungen eingestellt wird. Umgekehrt kann er in der Patientenverfügung auch ausdrücklich festlegen, dass unter bestimmten Voraussetzungen künstliche Ernährung mittels einer Sonde vorgenommen werden soll. In jedem Fall empfiehlt es sich, beizeiten Maßnahmen der künstlichen Ernährung für den Betreuten zu regeln.

 

Ethische Aspekte

Die Möglichkeit der künstlichen Ernährung durch eine Magensonde ist ein Beispiel dafür, wie eine medizinische Innovation alte Probleme löst (verhungern) – und neue schafft (ethische). In Letzterem, dem ethisch-rechtlichen Bereich, liegt das Hauptproblem. Wenn der Huntington-Patient derart massive Schluckstörungen hat, dass er nicht mehr essen kann, wird er nicht mehr in der Lage sein, sich über die Einwilligung zum Legen einer Magensonde zu äußern. Die Entscheidung obliegt dann den Angehörigen oder dem Betreuer. Wenn diese vom Arzt darauf hingewiesen werden, dass der Patient „verhungern oder verdursten wird, sofern er keine Sonde bekommt“, welcher Betreuer wird es auf sich nehmen, gegen den Patienten zu entscheiden? Derart suggestiv vor die Wahl gestellt, wird jeder die Operation befürworten. Doch um welchen Preis muss oder darf man die Sonde legen? Darf man einen Menschen überhaupt verhungern und verdursten lassen? Wann nutzt dem Patienten die künstliche Ernährung durch die Bauchdecke und wann fügt sie seiner Würde Schaden zu? Wo verläuft die Grenze zwischen wünschenswerter Lebensverlängerung und dem bloßen Hinauszögern des Todes? Eine PEG-Sonde verlängert definitiv das Leben eines Huntington-Patienten, möglicherweise um Jahre, in denen die Krankheit stetig fortschreitet bis zu einem Koma-ähnlichen Zustand. Aus diesem Grund sind manche Experten der Auffassung, dass künstliche Ernährung nur dann Sinn macht, wenn sie absehbar vorübergehender Natur ist, insbesondere nach einer Operation. Anderenfalls sei sie nur selten sinnvoll. Bei schwerer Demenz beispielsweise ist der Nutzen einer Magensonde deshalb umstritten, weil sie die Lebensqualität nicht mehr verbessert.

 

Angesichts dieser Problemlage sollten sich Betroffene und Angehörige – gegebenenfalls im Beisein eines Arztes oder eines Seelsorgers – frühzeitig Gedanken darüber machen, wie sie mit dieser Problematik umgehen wollen und welches die verfügbaren Optionen sind. Wenn dies nicht geschehen ist und der Patient später alleine nicht mehr in der Lage ist, zu entscheiden, wäge man sorgfältig ab, ob man ihn bis zum Lebensende künstlich ernähren lassen will. Es kann im Sinne des betroffenen Menschen sein, in Frieden eines natürlichen Todes zu sterben.

 

Zwei Überlegungen sollten in die Entscheidung mit einfließen. Zum einen geht es um eine individuelle Nutzen-Risiko-Abschätzung für den Patienten in seinem jeweiligen gesundheitlichen Kontext. Das heißt für einen Huntington-Betroffenen: unter besonderer Beachtung seiner Prognosefaktoren. Dazu muss der behandelnde Arzt eine Aussage machen können. Zum anderen geht es um den erklärten Willen des Patienten. Dieser sollte das entscheidende Kriterium sein. Sofern der Betroffene diesen nicht mehr äußern kann und dieser nicht in einer Patientenverfügung festgelegt ist, muss versucht werden, den mutmaßlichen Willen des Patienten entsprechend seiner Wertvorstellungen zu rekonstruieren.

 

3. Fazit

 

Insgesamt kann für einen Huntington-Patienten, der krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, zu schlucken, die PEG-Sonde ein Segen sein. Ihre Vorteile liegen auf der Hand, denn sie kann ein breites Spektrum sicherstellen: vom akuten Notfall des Verhungerns bis zur fortdauernden Lebensverlängerung dank ausreichender Flüssigkeits- und Energieversorgung. Die Gefahr des Verschluckens und Erstickens wird verringert, und gegebenenfalls kann die PEG-Sonde jederzeit entfernt werden. Dennoch ist sie ein Instrument, das Patienten und Angehörige, Ärzte und Richter in Gewissensnöte bringen und das Sterben nachhaltig verändern kann. Insofern gilt es, beizeiten Sinn und Zweck der künstlichen Ernährung für den Betreuten zu hinterfragen, das Für und Wider zu klären und eine Entscheidung herbeizuführen. Und wenn der Fall tatsächlich eintritt, ist dem Betroffenen Verständnis, Geduld und Zuwendung für seine neue Situation entgegenzubringen. Unbestreitbar kann die Entscheidung über das Legen einer PEG-Sonde nur individuell, personen- und situationsbezogen getroffen werden. Einfach ist sie nie.

 

4. Weiterführende Information

 

- Zum Huntington-Ratgeber - dem kostenlosen Handbuch für den Umgang mit der Huntington-Krankheit - klicken Sie hier auf RATGEBER

- Zum Artikel Schluckstörungen bei der Huntington-Krankheit klicken Sie hier auf SCHLUCKSTÖRUNGEN

- Zum Artikel über die richtige Ernährung bei der Huntington-Krankheit klicken Sie hier auf ERNÄHRUNG

 

5. Feedback

 

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Autor: Ekkehart Brückner                                                                                                                                                                                                                                        Stand: November 2019