Vom  Veitstanz  zur  Huntington-Krankheit

Warum die Huntington-Krankheit früher Veitstanz genannt wurde


Den Namen Veitstanz verdanken wir letztlich der Heiligenverehrung der katholischen Kirche. Zwar ist Tanz bei vielen Völkern als Ausdruck magischer oder religiöser Symbolik wesentlich älter als das Christentum. So huldigten beispielsweise die Slawen zum Fest der Sommersonnenwende mit kultischen Tänzen ihrem Sonnengott und schrieben diesem Ritual zugleich eine beschützende Funktion gegen Übel aller Art zu. Doch mit der christlichen Missionierung verschmolzen überall in Europa heidnische und christliche Bräuche, und die katholischen Heiligen übernahmen die Rolle der heidnischen Götter, nämlich vor Krankheit zu schützen und Leiden zu heilen.

Hier nun kommt der heilige Veit ins Spiel. Vitus, unter welchem Namen er in Sizilien geboren wurde, lebte im 3. Jahrhundert. Er führte ein christliches Leben und allerlei Legenden ranken sich um ihn, bei denen von wundersamen Heilungen berichtet wird. Dennoch musste er unter Kaiser Diokletian den Märtyrertod erleiden, bei dem er u.a. in siedendes Öl geworfen wurde. Letzteres ist bis heute auf verschiedenen Darstellungen und Wappen zu sehen (im Bild das Wappen der Stadt St. Veit im Pongau).

 

Auf Grund seines besonderen Wirkens wurde Veit in den Kreis der Vierzehn Nothelfer aufgenommen und ist Schutzpatron beispielsweise für Gastwirte, Bierbrauer und Winzer, aber auch für Tänzer und Schauspieler. Und allen hilft er gegen Krämpfe, Epilepsie, Tollwut, Schlangenbiss – und eben den Veitstanz. Wie kam es dazu?


Nachdem im katholischen Festtagskalender der Gedenktag für St. Veit auf den 15. Juni gelegt wurde, spielte Festtanz an diesem Tag – wie bei den Slawen zur Sonnenwende – eine wichtige Rolle. Nun entstand jedoch im 14. und 15. Jahrhundert eine Entwicklung, die als Tanzwut bezeichnet wurde. Vom religiösen Wahnsinn ergriffen, tanzten die Menschen ekstatisch bis zur Erschöpfung oder gar bis zum Tod. Die Ursache dafür war möglicherweise Verzweiflung über die Auswirkungen der seinerzeitigen Pest-Epidemien. Diese Tanzwut wurde als Veitstanz bekannt. So entwickelten sich aus dem ursprünglich heidnischen Tanzritual erst die christliche Tanzfeier und dann die krankhafte Tanzwut. Und in diesem Zusammenhang wurde dem Heiligen die Zuständigkeit für die entfernt an Tanz erinnernden Bewegungsstörungen zugeordnet. Für diese konnte er fortan als Helfer aufgerufen werden.

 

Gewissermaßen amtlich wurde St. Veit im 16. Jahrhundert als Namenspatron für Bewegungsstörungen durch den Schweizer Arzt Paracelsus festgelegt, indem dieser die Krankheit unter dem bis dahin gebräuchlichen Namen Veitstanz in die wissenschaftliche Medizin aufnahm. Und weil medizinische Krankheitsbegriffe bis heute weitgehend dem Griechischen entstammen, ergänzte er die Beschreibung der Erkrankung, ihrer tanzähnlichen Symptome wegen, um den Begriff choreía (Tanz). Dieser Name wurde lange als Fachterminus beibehalten.

 

Erst vor rund 150 Jahren, nachdem der amerikanische Arzt George Huntington als erster die Krankheit gründlich erforscht hatte, wurde diese zu seinen Ehren als Chorea Huntington benannt. Damit verschwand der alte Name Veitstanz endgültig. Aber statt der altmodischen medizinisch-wissenschaftlichen Bezeichnung Chorea Huntington sprechen wir heute allgemeinverständlich von der Huntington-Krankheit.

 

Weiterführende Information

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 Autor:  Ekkehart Brückner, Juli 2019