1. Einleitung
Wie jedem, stellen sich auch Huntington-gefährdeten Personen Fragen bezüglich der finanziellen Zukunft. Die Huntington-Krankheit kann Einfluss darauf haben, ob und wie lange eine Person berufstätig sein und so mit dem Einkommen für den eigenen Unterhalt sorgen kann. Wie viel Geld wird einem in der Zukunft zur Verfügung stehen? Wie viel Geld benötigt man, und wie kann eine eventuelle Lücke geschlossen werden?
Insbesondere im Zusammenhang mit den prädiktiven genetischen Untersuchungen tauchen häufig die Fragen nach sinnvollen oder empfehlenswerten Versicherungen auf – also von gesunden Menschen mit dem Risiko, an Huntington zu erkranken.
Dieses Infoblatt erläutert die in diesem Zusammenhang wichtigen Versicherungen. Jeder wählt für sich aus, welche Versicherungen, welche Versicherungsunternehmen, welche Tarife und welche Beträge in Frage kommen, um den individuellen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Dieses Infoblatt ersetzt keine Beratung bezüglich Versicherungsfragen und gibt keine Empfehlung bezüglich konkreter Versicherungen und Tarife.
2. Rechtliche Rahmenbedingungen
In Deutschland existiert ein Gesetz, das in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt: das „Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen“ (Gendiagnostikgesetz, GenDG). Es hat unter anderem den Zweck, Benachteiligung auf Grund genetischer Eigenschaften zu verhindern. Das gilt insbesondere für Arbeitgeber, aber auch für Versicherungen. Hier ein Auszug aus Abschnitt 4 „Genetische Untersuchungen im Versicherungsbereich“:
§ 18 - Genetische Untersuchungen und Analysen im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Versicherungsvertrages
· Der Versicherer darf von Versicherten weder vor noch nach Abschluss des Versicherungsvertrages
o die Vornahme genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangen, oder
o die Mitteilung von Ergebnissen oder Daten aus bereits vorgenommenen genetischen Untersuchungen oder Analysen verlangen oder solche Ergebnisse oder Daten entgegennehmen oder verwenden.
· Für die Lebensversicherung, die Berufsunfähigkeitsversicherung, die Erwerbsunfähigkeits-versicherung und die Pflegerentenversicherung gilt Satz 1 Nr. 2 nicht, wenn eine Leistung von mehr als 300 000 Euro oder mehr als 30 000 Euro Jahresrente vereinbart wird.
· Vorerkrankungen und Erkrankungen sind anzuzeigen; insoweit sind die §§ 19 bis 22 und 47 des Versicherungsvertragsgesetzes anzuwenden.
Dies bedeutet:
· Der Versicherer darf - unterhalb der angegebenen Leistungsgrenze - nicht nach genetischen Erkrankungen in der Familie fragen, keine genetische Untersuchung anordnen oder das Ergebnis einer genetischen Untersuchung einsehen wollen beziehungsweise, falls er diese Kenntnis erhält, darf dies nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers angewendet werden.
· Anders ist es bei diagnostizierten Krankheiten (also wenn man Symptome der Huntington-Krankheit hat) – dies muss angeben werden. Ein Verschweigen von Krankheiten stellt sonst einen Versicherungsbetrug dar.
3. Ausgewählte Versicherungen
In diesem Abschnitt werden einige ausgewählte Versicherungsarten näher erläutert, die für die Menschen aus Huntington-Familien wichtig sein könnten. Dies sind keine Huntington-spezifischen Versicherungen, sondern Risiken, die jeden treffen können.
3.1 Berufsunfähigkeitsversicherung
Worum geht es – welches Risiko wird hier abgesichert?
· Wer aus psychischen Gründen, aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, ist berufsunfähig und erhält im Versicherungsfall vom Versicherer die vereinbarte monatliche Rente als Ausgleich zum Verlust der Arbeitsfähigkeit.
· Eine Berufsunfähigkeitsversicherung kann als Zusatzversicherung (Berufsunfähigkeits-zusatzversicherung, BUZ) zu einer Lebensversicherung oder Rentenversicherung oder als selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen werden.
Wer braucht das?
· Insbesondere bei jungen Menschen besteht im Fall einer Berufsunfähigkeit gegebenenfalls kein oder nur ein sehr begrenzter staatlicher Schutz im Rahmen der Erwerbsunfähigkeit.
· Bereits Schüler können eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen. Hierfür haben die Versicherer spezielle Tarife im Angebot.
Wichtige Kriterien
· Je jünger und gesünder man bei Vertragsabschluss ist, desto geringer ist der monatlich zu zahlende Beitrag.
· Die Höhe der monatlichen Leistung ist realistisch zu kalkulieren - also nicht zu hoch, aber auch nicht zu niedrig anzusetzen.
· Achtung: Bei der sogenannten „Verweisung“ kann der Versicherer verlangen, dass man einen anderen Beruf, also gegebenenfalls eine minderwertige Tätigkeit ausübt, statt die vereinbarte monatliche Leistung zu erhalten.
· Eine Berufsunfähigkeitsversicherung nur bis zum Alter von 60 Jahren abzuschließen ist vom monatlich zu zahlenden Beitrag günstiger, hinterlässt aber eine Lücke. Empfohlen ist eine Absicherung bis zum Absicherungsendalter (63 oder 65 beziehungsweise bis zum frühesten Renteneintrittsalter zum Bezug der Altersrente).
· Auf alle Fälle genau klären und verstehen, in welchen Fällen die Versicherung (nicht) in Kraft tritt.
· Einen Tarif anhand der besten Bedingungen auswählen, nicht den günstigsten.
· Bei einem Vertrag mit Nachversicherungsgarantie kann die Rente später ohne erneute Gesundheitsprüfung erhöht werden.
3.2 Pflegezusatzversicherung
Worum geht es – welches Risiko wird hier abgesichert?
Im Fall einer Pflegebedürftigkeit erbringt die gesetzliche Pflegeversicherung Geld- oder Sachleistungen für die Pflege (zuhause oder im Heim). Dieser Zuschuss deckt die Kosten oft nicht. Das heißt, einen großen Teil muss jeder einzelne selbst finanzieren, und zwar mit der Rente, mit gespartem Geld oder mit einer privaten Pflegezusatzversicherung.
Wer braucht das?
Menschen, die im Pflegefall keine ausreichenden eigenen finanziellen Mittel einbringen können, um die Kosten der Pflege zu decken.
Wichtige Kriterien
· Das Wichtigste ist, dass man die Leistungen auch erhält. Generell ist es daher ratsam, die Voraussetzungen für die Leistungen und den Leistungskatalog genau zu prüfen.
· Je früher man die Pflegeversicherung abschließt, umso günstiger sind die Beiträge.
· Demenz sollte mit abgedeckt sein.
· Laienpflege und Pflegestufe 0 sollten mit enthalten sein.
· Die Tagessätze, die je Pflegestufe vereinbart werden, sollten dynamisiert sein, das heißt sich jährlich anpassen, um auch bei der Inflation noch ausreichend hoch zu sein.
Pflegezusatzversicherung mit staatlicher Förderung: „Pflege-Bahr“
· Bei vielen Gesellschaften gibt es den sogenannten "Pflege-Bahr". Diese Tarife dürfen nicht nach Krankheitsrisiken oder Vorerkrankungen fragen, müssen also jeden aufnehmen.
· Zu den Auflagen gelten allerdings eine Wartezeit von bis zu 5 Jahren und ein Eigenbeitrag von 10 Euro, um die 5 Euro staatlicher Förderung pro Monat zu erhalten.
· Wartezeit bedeutet, dass kein Versicherungsschutz besteht, wenn man während dieser Zeit pflegebedürftig wird.
3.3 Krankenversicherung
Worum geht es – welches Risiko wird hier abgesichert?
· Eine Krankenversicherung erstattet den Versicherten die Kosten (voll oder teilweise) für die Behandlung bei Erkrankungen, bei Mutterschaft und nach Unfällen.
· Die Krankenversicherung ist in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben. In der Krankenversicherung ist man Pflichtmitglied (bis zu einem bestimmten Jahreseinkommen in der Gesetzlichen Krankenversicherung) oder freiwillig versichert (Private Krankenversicherung, Zusatzversicherungen oder wer über der Einkommensgrenze liegt und in der Gesetzlichen Krankenversicherung bleibt).
Wer braucht das?
Jemand, der fest definierte Leistungen (über die gesetzlichen Leistungen hinaus) vereinbaren will, beispielsweise:
· eine Krankenhaus-Zusatzversicherung (mit freier Wahl der Klinik, Einbett- oder Zweibettzimmer statt Mehrbettzimmer und Chefarztbehandlung) oder
· eine Krankentagegeldversicherung (Das gesetzliche Krankengeld im Anschluss an die Lohnfortzahlung ist begrenzt. Wer ein höheres Einkommen und laufende Verpflichtungen hat, kann so den Verdienstausfall ausgleichen.) oder
· eine Zusatzversicherung zur Behandlung durch Heilpraktiker.
Wichtige Kriterien
· Die (Zusatz-) Leistungen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen unterscheiden sich im Detail. Das heißt, man muss von den vielen Anbietern den Tarif mit den besten Leistungen finden – nach seinen Bedürfnissen.
· Bei einer privaten Krankenversicherung und einer Zusatzversicherung wählt man genau die Leistungen aus, die man haben will – und zahlt für diese einen entsprechenden Beitrag.
3.4 Lebensversicherung / Rentenversicherung
Worum geht es – welches Risiko wird hier abgesichert?
· Lebensversicherungen sind Personenversicherungen, die eine Versicherungsleistung vereinbaren, die im Versicherungsfall an den Versicherungsnehmer oder einen anderen Bezugsberechtigten ausgezahlt wird.
· Je nach vertraglicher Vereinbarung kann der Tod während der Versicherungslaufzeit, das Erleben eines bestimmten Zeitpunktes, der Eintritt schwerer Krankheiten, die Berufs- oder Arbeitsunfähigkeit, Pflegebedürftigkeit oder andere, direkt mit dem menschlichen Leben zusammenhängende Gefahren als Versicherungsfall bestimmt sein und eine Leistung auslösen.
· Rentenversicherungen gehören ebenfalls zu den Lebensversicherungen. Als Leistung wird eine lebenslange, regelmäßige Zahlung seitens des Lebensversicherers fällig. Das heißt, es wird der Erlebensfall der versicherten Person abgesichert.
Wer braucht das?
Neben der gesetzlichen und staatlich geförderten Altersvorsorge können Lebens- und Rentenversicherungen in Betracht kommen, um im Alter ein Zusatzeinkommen zur gesetzlichen Rente zu haben beziehungsweise um im Todesfall die Hinterbliebenen finanziell zu unterstützen.
Wichtige Kriterien
· Lebens- und Rentenversicherungen binden Kapital. Daher ist es wichtig, realistisch zu kalkulieren, wie viel man einzahlen kann und wie viel Geld man später benötigt.
· Zuerst die staatlichen Förderungen nutzen, bevor weitere Verträge abgeschlossen werden.
3.5 Rechtsschutzversicherung
Worum geht es – welches Risiko wird hier abgesichert?
Eine Rechtsschutzversicherung übernimmt Anwalts- und Verfahrenskosten für verschiedene Rechtsbereiche. Dazu gehört unter anderem das Sozialrecht, etwa bei Streit mit der Krankenkasse um Pflegestufen.
Wichtige Kriterien
· Eventuell gelten Wartezeiten nach Vertragsabschluss, während denen der Versicherungsschutz noch nicht besteht.
· Nur gültig für Rechtsfälle, deren Ursprung nach Vertragsabschluss liegt.
· Wird die Versicherung zu oft in Anspruch genommen, kann der Versicherer das außerordentliche Kündigungsrecht nutzen.
3.6 Weitere Versicherungen
Andere wichtige Versicherungen sind beispielsweise die private Haftpflichtversicherung:
· Eine Unachtsamkeit im Alltag kann sehr schnell sehr teuer werden, denn jeder, der einem anderen einen Schaden zufügt, ist nach dem Gesetz zu Schadensersatz verpflichtet.
· Das gilt im privaten Bereich für Personenschäden, Sachschäden und Vermögensschäden.
· Wer noch in Ausbildung und nicht verheiratet ist, kann über den Familientarif der Eltern mitversichert sein.
oder die Unfallversicherung:
· Eine Unfallversicherung schützt vor den finanziellen Folgen unfallbedingter Invalidität. Wer einen schweren Unfall hat und dauerhaft geschädigt ist, erhält von der Versicherung eine vereinbarte Summe, sprich: Leistung aus der Unfallversicherung. Diese wird fällig, sobald Behinderungen oder Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Körpers zurückbleiben.
· Das Geld hilft, um beispielsweise das Haus behindertengerecht umzubauen.
Hinweis: Da eine Unfallversicherung nicht bei Krankheiten hilft, kann sie keine Berufsunfähigkeitsversicherung ersetzen.
4. Mögliche Vorgehensweise
Individueller Versicherungsbedarf
· Die individuellen Rahmenbedingungen beeinflussen die Risiken und damit den Bedarf an Versicherungen. Zu den Faktoren gehören unter anderem das Alter, der Familienstand, der Beruf, der Gesundheitszustand.
· Im Internet sind online Versicherungs-Checks möglich, um sich einen ersten Überblick über notwendige und ergänzende Versicherungen abhängig von den eigenen Parametern geben zu lassen.
· Im Zusammenhang mit der Huntington-Krankheit stehen insbesondere die Kranken- und Personenversicherungen im Vordergrund, aber auch Sachversicherungen können für den Einzelnen besonders wichtig sein.
Beratung
· Die Tarife der Versicherer sind sehr unterschiedlich und ändern sich, daher ist eine Beratung unverzichtbar. Dies gilt grundsätzlich, aber besonders für Sonderfälle wie Schüler / Azubis / Studenten, Hartz-IV-Empfänger oder Selbständige.
· Von einem Versicherungsberater kann man sich genau erklären lassen, wozu welche Versicherung da ist und kalkulieren, in welcher Höhe ein Versicherungsschutz notwendig ist.
· Es ist ratsam, eher einen befreundeten Versicherungsberater zu kontaktieren als einen fremden.
· Von einem Versicherungsberater sollte man sich zeitlich nicht unter Druck setzen lassen – in Ruhe alles durchlesen, verstehen beziehungsweise Fragen stellen und dann den nächsten Schritt machen.
· Gegebenenfalls mehrere Angebote einholen, genau durchlesen und vergleichen.
Gesundheitsfragen
· Personenversicherungen setzen die Beantwortung bestimmter Gesundheitsfragen voraus.
· Alle Gesundheitsfragen sind wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten, also wissentlich keine falschen Aussagen machen, sonst kann man – auch noch nachträglich – den Versicherungsschutz verlieren.
· Durch das Gendiagnostikgesetz dürfen keine Nachteile aufgrund genetischer Erkrankungen entstehen. Wenn im Versicherungsantrag nicht nach genetischen Erkrankungen gefragt wird oder die Fragen so formuliert sind, dass man sie wahrheitsgemäß beantworten kann, ohne dabei für sich selbst Nachteile zu erlangen, ist es in Ordnung. Falls nicht, diesen Versicherer meiden und weitere Anträge / Gesundheitsfragebogen einsehen.
· Versicherungen fragen teilweise nach Erkrankungen in der Familie. Darauf am besten keine Angaben machen oder einen Versicherer wählen, der diese Fragen nicht stellt.
· Oberhalb einer bestimmten Versicherungssumme dürfen Versicherungen diese Frage stellen.
· Diagnostizierte Erkrankungen dürfen nicht verschwiegen werden.
Auswahl
· Versicherungsvergleiche gibt es auch im Internet, zum Beispiel bei Focus, Stiftung Warentest.
· Aus dem Vergleich das beste Angebot (Preis - Leistung) auswählen.
· Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob und was man wann braucht.
· Es ist nicht nötig, alle Versicherungen auf einmal abzuschließen. Man kann die für sich wichtigsten auswählen und die anderen für später aufheben.
Abschluss der Versicherungen vor der prädiktiven genetischen Untersuchung
· Grundsätzlich sind die wichtigen personenbezogenen Versicherungen (am besten) abzuschließen, bevor man zur genetischen Beratung geht.
· Abschließen heißt, nicht nur den Antrag stellen, sondern warten, bis die Police / Bestätigung da ist.
Regelmäßige Überprüfung
· Von Zeit zu Zeit ist zu prüfen, ob die Versicherungen noch zur Lebenssituation passen und die Leistungen beinhalten, die für einen wichtig sind, oder ob sie angepasst werden müssen, zum Beispiel nach einer genetischen Untersuchung durch Nicht-Mutationsträger.
· Gegebenenfalls können Versicherungen gekündigt oder angepasst werden, oder weitere Versicherungen sind abzuschließen.
5. Weiterführende Informationen
Zum Huntington-Ratgeber - dem kostenlosen Handbuch für den Umgang mit der Huntington-Krankheit - klicken Sie hier auf RATGEBER
6. Feedback
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Die Infoblätter sind keine Quelle für medizinische, juristische oder finanzielle Ratschläge. Stand: September 2015
Wiedergabe dieses Artikels mit freundlicher Genehmigung der
Autorin Michaela Winkelmann (Deutsche Huntington-Hilfe)