Gemäß den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollten möglichst nicht mehr als vier verschiedene Arzneimittel gleichzeitig eingenommen werden, denn spätestens ab dieser Anzahl kann es zu gefährlichen Wechselwirkungen und Schäden kommen, die den erwarteten medizinischen Nutzen übersteigen (Polypharmazie = Einnahme von mehr als fünf Medikamenten gleichzeitig). An deren Folgen sterben zum Beispiel in Deutschland mehr Menschen jährlich, als im Straßenverkehr, jeder zweite über 70-Jährige kommt ins Krankenhaus, weil er die falschen Medikamente eingenommen hat, und in den westlichen Industrieländern stehen die Nebenwirkungen mittlerweile an dritter Stelle der Todesursachen (nach Herzinfarkt und Krebs). Dieses Infoblatt soll daher auf die Problematik der Wechselwirkung von Medikamenten aufmerksam machen.
Wechselwirkungen entstehen, wenn mehrere Medikamente, die sich gegenseitig beeinflussen können, parallel eingenommen werden. Das kann sich so auswirken, dass die ursprünglich beabsichtigte Wirkung verstärkt, abgeschwächt oder ganz aufgehoben wird oder dass die Einnahme zu Unverträglichkeiten führt. Dies klingt relativ harmlos. Bei bestimmten Medikamentenkombinationen kann es jedoch auch gefährlich werden mit Nierenversagen, inneren Blutungen, Unterzuckerung, Herzrhythmusstörungen, Kreislaufkollaps, Atemnot oder Vergiftungen. Zudem summieren sich häufig die Nebenwirkungen, die jedes Arzneimittel verursacht, und richten mehr Schaden an, als sie nützen. Die gesamte Problematik wird im Alltag häufig zu wenig oder gar nicht beachtet. Kaum ein Arzt hält sich an die oben genannte Faustregel der WHO, und leider denkt die Schulmedizin häufig zu einseitig. Wenn beispielsweise der Blutdruck eine kritische Schwelle überschreitet, werden zweifellos blutdrucksenkende Medikamente zum Schutz der Gefäße verordnet. Dass dadurch jedoch andere Organe in Mitleidenschaft gezogen werden können und der Organismus insgesamt geschwächt wird – das wird dabei selten berücksichtigt.
Nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände steigt das Risiko gefährlicher Neben- und Wechselwirkungen mit jedem weiteren gleichzeitig eingenommenen Medikament. Eine größere Anzahl kommt leicht zustande, wenn man wegen verschiedener Leiden bei mehreren Ärzten in Behandlung ist und dort jeweils die unterschiedlichsten Wirkstoffe verordnet bekommt: etwa einen Cholesterinsenker gegen das hohe Cholesterin, einen Blutdrucksenker gegen den hohen Blutdruck, ein Schmerzmittel wegen der Knieprobleme, einen Säureblocker gegen das Sodbrennen und so weiter. So kommt ein gefährlicher Medikamenten-Mix zustande.
Dies geschieht in ähnlicher Weise, wenn man bei einer einzelnen Krankheit – wie im Fall Huntington – dauerhaft mehrere Medikamente gegen deren mannigfachen Symptome erhält: beispielsweise ein Mittel gegen die Hyperkinesen, eins gegen die Depressionen, eins gegen die Schlafstörungen und eins gegen Inkontinenz. Das Risiko für gefährliche Wechselwirkungen ist dann kaum noch beherrschbar und die Frage nach der gegenseitigen Verträglichkeit unerlässlich. Man muss also selbst tätig werden.
Sachdienlich ist es daher immer, jedem Arzt vor der Behandlung Auskunft über alle Medikamente zu geben, die man einnimmt, um zu verhindern, dass zusammenkommt, was nicht zusammengehört. Darüber hinaus ist es stets ratsam, beim behandelnden Arzt genau nachzufragen und sich erklären zu lassen, warum ein Medikament verordnet wird, was die Vor- und Nachteile der Behandlung sind, ob es tatsächlich benötigt wird, welche Alternativen es gibt und ob sich das zusätzliche Medikament mit den bisherigen verträgt (mit der konkreten Bitte um eine Prüfung der Wechselwirkungen). Letzteres können nach dem Arzttermin notfalls auch Apotheken leisten.
Wer wissen möchte, ob seine bislang verordneten Medikamente sich „vertragen“, auch unabhängig von Huntington, hat die Möglichkeit, dies selbst zu prüfen. So gibt es insbesondere für ältere Patienten eine Liste der gefährlichsten Medikamente (die sogenannte Priscus-Liste) mit Angabe verträglicherer Alternativen. Diese Zusammenstellung findet man im Internet unter www.priscus.net. Daneben findet man im Internet unter dem Stichwort Wechselwirkung von Medikamenten zum Beispiel mehrere Internet-Apotheken (beispielsweise www.versandapo.de), die kostenfreie Prüfprogramme anbieten. Dort trägt man die in Frage kommenden Medikamente sowie die Krankheit (Letztere auf freiwilliger Basis) in eine Tabelle ein. Im Ergebnis erfährt man alle Wechsel- und Nebenwirkungen, abgestuft nach ihrer Gewichtigkeit. Sollten diese schwerwiegend sein, ist es ratsam, dies mit dem behandelnden Arzt zu besprechen und nach einer Lösung zu suchen. Keinesfalls sollte man verordnete Medikamente eigenständig absetzen.
Anmerkung:
Dieser Artikel ist kein Aufruf, sich nicht schulmedizinisch behandeln zu lassen. Es geht vielmehr darum, sich Information aus verschiedenen Quellen zu holen, die Fakten herauszufinden und sich nicht nur auf die Aussagen der Schulmedizin zu verlassen. Es geht um das eigene Leben, und deshalb sollte man eigenverantwortlich damit umgehen und die Verantwortung nicht anderen überlassen. Letztlich ist es immer die eigene Entscheidung, welche Behandlung man für sich auswählt, denn niemand außer einem selbst wird die Konsequenzen dafür tragen müssen. Und am Ende zählt nur: wer heilt, hat Recht.
Weiterführende Information
- Zum Huntington-Ratgeber - dem kostenlosen Handbuch für den Umgang mit der Huntington-Krankheit - klicken Sie hier auf RATGEBER
- Zum Artikel Patientenverfügung bei Huntington klicken Sie hier auf VERFÜGUNG
- Zum Artikel Patientenrechte bei Huntington klicken Sie hier auf PATIENTENRECHTE
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Autor: Ekkehart Brückner Stand: April 2020